Jeden Tag ein neuer Fluss

Es heißt, man steigt nicht zwei Mal in denselben Fluss. Also schaue ich jeden Tag auf einen neuen Fluss.

Die Elbe steigt zur Zeit. Der Weg direkt am Wasser ist wieder verschwunden, die Büsche und Gräser vom Ufer ragen nur noch ein bisschen aus dem Wasser. Die Enten sind jetzt woanders.

Diesmal haben sie die Bänke rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Die letzte war vor ein paar Monaten weg geschwommen.

An der Mauer erinnern Markierungen an die schlimmsten Fluten seit mehr als 200 Jahren.

Fassungslos und fasziniert stehen sonst die Touristen davor und stellen sich vor, wie das Wasser weit über ihren Köpfen steht und wie sie unter der Oberfläche herumwandeln. Heute steht dort keiner und staunt. Das Wasser stünde ihm bis zur Hüfte. Für eine Markierung reicht das nicht.

Täglich ziehen diese Wassermassen an mir vorbei.
Ich sehe deren Oberfläche, ich sehe Muster, die der Regen und der Wind auf ihnen erzeugt.
Ich sehe den Himmel als Spiegelung.
Was im Wasser ist, sehe ich nicht. Ich sehe nicht, was mit ihm davon treibt.

Es gleicht sich, Tag für Tag. Auch wenn etwas darin verloren geht. Ein Stein, ein Fass, ein Handy und das andere. Unaufhaltbar fließt es weiter und verschluckt, was ihm nicht ausweichen kann. Materielle, ideelle Dinge, fort, nicht auffindbar.

Auch was auf dem Grund liegt, seit Jahren, Jahrzehnten, ist nicht zu erkennen. Manche möchten es auch nicht wissen.

Wenn man badet, greift der Schlamm nach den Füßen.
Schlamm, in dem manchmal auch etwas stecken bleibt. Scherben, Flaschen, ein Anker, Geschichten.
Der Schlamm fühlt sich seltsam an.

Ich bin nie auf etwas Festes gestoßen.

Werbung
Veröffentlicht in: Blog