Ein Produkt der Selbstentblößung

Da ich gerade irgendwie ein bisschen in Eile bin*, schummle ich heute mal ein wenig und nehme was „Altes“…

*(Freizeitstress: Ich fahre morgen für eine Woche in den Süden!)

Damals noch weit davon entfernt, selbst einen zu eröffnen, hatte ich das Thema „Blog“ in meiner Diplomarbeit kurz angeschnitten. Hier ein bisschen was daraus.

Die Entwicklung hin zu individuellen Erzählungen der Wirklichkeit und deren zunehmende Verbreitung, z.B. als „Online-Tagbücher“, kommt nicht aus dem Nichts sondern war gewissermaßen voraussehbar.
Man kann sie als logische Konsequenz einer Bewegung sehen, die schon im 16. Jahrhundert begann. Damals verlagerte sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf das Individuum. Den Beschreibungen des Alltags aus einer subjektiven Weltsicht heraus wurde ein besonderer dokumentarischer Wert zugesprochen. Der Essay-Schreiber Michel Eyquem de Montagne (1522-1592) glaubt, dass Reflexionen über Erfahrenes und Erlebtes einen tiefgehenden Aufschluss über den Menschen ermöglichen könnten. In der Literatur verbreiteten sich damals als neue Formen die Autobiografie und das Tagebuch, dementsprechend wurde in der Kunst das Selbstportrait Mode.
Schon zu dieser Zeit entstand die Idee von Individualität als Authentizität, Wahrhaftigkeit und Selbstdarstellung, die sich heute im Blog wieder finden kann. Auch in der „Jungen Literatur“ sind das eigene Leben und der Alltag mitsamt seinen“Banalitäten“ gerne Thema. Die „Popliteraten“ zum Beispiel vermittelten so ihr typisches Lebensgefühl und verstärkten den Gedanken, dass „Jedermanns Senf“ ein wichtiger Beitrag für die Welt und ein Dokument der Gegenwart ist. Sie eignen sich gut als Vorbilder für Blogger. Einstige formale Regeln spielen keine große Rolle mehr, es wird einfach mit der Tastatur drauf losgequatscht. Alles was gefällt ist erlaubt. (Natürlich auch, was nicht gefällt, aber wen interessiert’s?).

Wolfgang Kraus („Das erzählte Selbst“) geht davon aus, dass wir im Netz die Person sind, die wir durch unsere Narrationen konstruieren können. Diese Narrationen sind dabei keine rein „individuellen Besitztümer“ sondern „Produkte des sozialen Austausches“. Das liegt daran, dass unsere selbstdarstellenden Erzählungen meist mehr oder weniger „mediale Geschichten“ sind.
In diesen Narrationen geht es häufig um Filme, Fernsehsendungen, Musik, Bücher, Internetseiten, Spiele und Comics. Anhand der Erzählung dieser „individuell-kollektiven“ Geschichten und einer Reaktion darauf wird nach Kraus der eigene Identitätsentwurf gefestigt und bestätigt. Der Blog oder das Teilen von „Inhalten“ innerhalb einer Community hilft also dabei, die eigene Identität zu präsentieren und dafür Feedback zu erhalten.

Kann das jemand bestätigen? Ich bin mir nicht sicher und hoffe auf einen Kommentar, der meine Identität festigt! Sehr gern auch Selbsterfahrungsberichte! Schüchterne und Verfestigungsflüchtlinge dürfen sich natürlich immer auch incognito per Mail dazu äußern!

Diese Identität wird dabei meist wie eine Collage erschaffen: Man schreibt nicht nur etwas, sondern verlinkt seine Seite oder sein Profil auch mit allen möglichen anderen Seiten, also allgemein zugänglichen und oft bekannten Medieninhalten, die einem etwas bedeuten, und über deren Integration in den Alltag sich neue, mediale Geschichten entwickeln können.

Richard Sennett schreibt, dass wir immer mehr glauben, dass Gemeinschaft ein Produkt der Selbstentblößung sei. Und dass wir denken, die Qualifikation einer Person erst erkennen zu können, wenn wir auch etwas über ihre Persönlichkeit erfahren, also wissen, wie sie lebt, was für Werte sie hat, etc. Er meint, dass wir vorwiegend nach dem urteilen, was für ein Mensch jemand ist, hinter der „Fassade“, im Privaten. Was er tut, was er vertritt oder welchen Nutzen er bringt, ist zweitrangig.

In diesem Fall werden Personen wichtiger als das, wofür sie stehen. Sympathien entwickeln sich zuerst anhand der Persönlichkeit und danach vielleicht anhand der Ideen. Das kann man auch in der Politik beobachten.

Ein Manager in Selbst-Entblösungsfragen ist also von unvergleichlichem Wert heutzutage! Sonst könnte der Seelenstriptrip nach hinten losgehen…

Ich bleibe dennoch bei meinem Jugend-Motto: „Amüsieren verbindet sich automatisch mit blamieren!“

Darum verkörpert mein Blog auf aufrichtigste Weise die Idee von Authentizität und Wahrhaftigkeit!!!

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